Mai 2001, Thousand Oaks, Amerika.
Noch nie hatte die Nachbarschaft solch grausame Schreie aus dem verfluchten Haus, die Straße herunter, wahrgenommen. Frauen in den Wehen können so unfassbar laut sein, wenn sie wollen, und wenn sie von unaufhörlichen Schmerzen geplagt werden, die Stärken erreichen, die ein Mann niemals aushalten würde. Er würde unter den Schmerzen zerbrechen – an ihnen kaputtgehen und jämmerlich daran verenden. So jedoch nicht Melody Felicitas Cook, welche den Schmerzen widerstand und ein gesundes Mädchen zur Welt brachte. Verlassen vom Ehemann und nur mit der Hilfe ihrer älteren Schwester Cecile. Die Nachbarschaft sprach lang über das Kind – verflucht sollte es sein. Familie Cook lebte in einem ‚verfluchten‘ Haus; Spuken sollte es dort und hin und wieder passierten wohl grausame Dinge dort – davon weiß Serenity heute nichts mehr. Sie hat nur eine Erinnerung aus dieser Zeit behalten. Serenity wuchs ohne ihren leiblichen Vater auf, fragte jedoch nie nach ihm, da es ihr völlig egal war, was mit ihm passiert war. Zumindest bis zum August 2001. Serenity war fünf Jahre jung, war bisher sehr gut aufgewachsen in der Umgebung und auch das Haus bereitete ihr normalerweise keine Probleme. Ihre Mutter hatte wieder begonnen zu arbeiten und häufig gab ihre Tante Acht auf Serenity, außer sie ging einkaufen, so wie an diesem Nachmittag. Es klingelte – Serenity öffnete. Ihre Mutter hatte ihr häufig beigebracht, die Tür nicht zu öffnen, ohne vorher nachzusehen, wer dort war und auf sie wartete. Jedoch hielt sich das kleine Mädchen an diesem Tag nicht daran. Ein fremder Mann stand vor ihr, lächelte sie an und betrat das Haus. Immer wieder stellte sie ihm Fragen, bekam jedoch auf keine eine Antwort. Serenity machte sich jedoch daraus nicht viel – sie war unwissend und nur ein kleines Kind, das verspielt und fremdenfreundlich war. Somit wartete sie einfach ab, bis ihre Mutter von der Arbeit zurückkam. Sie schien überrascht, sehr sogar. Sie konnte kaum sprechen. Sie hatte begonnen zu weinen und hatte Serenity aus dem Wohnzimmer geschickt. Jedoch verließ sie zwar das Wohnzimmer, aber blieb im Flur, lauschte an der Tür. Sie schrien sich lautstark an und Serenity kannte viele der Wörter nicht, die sie in ihrem Wortgefecht benutzten. Sie ging später schlafen, hatte dabei keine weiteren Hintergedanken. Ihre Mutter und der fremde Mann hatten sich wieder beruhigt und später war alles verstummt.
Der Mann war am nächsten Tag noch immer da, auch eine Woche später noch, einen ganzen Monat später – immer noch. Serenity machte das ganze stutzig – sie war vielleicht jung, aber nicht dumm. Der Mann war ihr fremd, er hatte also nichts in ihren vier Wänden zu suchen. Ihre Mutter sprach völlig normal mit ihm, manchmal umarmten sie sich und nachts lagen sie zusammen auf der Couch, ja, sie schliefen sogar nach einer Weile im gleichen Bett. Nach gut einem halben Jahr, brachte ihre Mutter ihr bei, wer der Mann eigentlich war: Ihr leiblicher Vater – Timothy Allen. Für Serenity war das schwer zu begreifen, vor allem in ihrem Alter. Sie wusste nicht, was sie mit dieser Information anfangen sollte, immerhin war sie fünf Jahre lang auch ohne ihn zurechtgekommen – warum kam er jetzt zurück? Serenity ging ihm gegenüber sehr distanziert vor. Sie verweigerte Umarmungen und lange Gespräche mit ihm. Zwar jung, aber nicht dumm. Sie wusste, dass der Mann ein Lügner war und sie und ihre Mutter allein gelassen hatte. Nun tauchte er wieder auf und benahm sich, als wäre nie etwas verstanden. Wie konnte ihre Mutter nur naiver sein als Serenity selbst?
August 2009, Thousand Oaks, Amerika.
Nach einem Jahr, lebte die wiedervereinte Familie einigermaßen idyllisch in ihrem angeblich verfluchten Haus. Serenity und Timothy wurden noch immer nicht wirklich warm miteinander, aber der Tod ihrer Tante Cecile hatte sie enger zusammengeschweißt. Immerhin war er diesmal für das damals sechsjährige Mädchen da. Serenity glaubte jedoch, dass nun alles gut werden würde, auch wenn sie noch immer nicht wusste, warum ihr Vater erst so spät wieder zurückgekommen war, ohne sie aufzuklären, wo er gewesen war und was er getan hatte in der Zeit. Seine Vergangenheit war für Serenity wie der dunkle Ozean – uneinsichtig und geheimnisvoll, vom Menschen unerforscht. Serenity täuschte sich jedoch damit, dass alles gut werden würde.
Schicksalsnacht im August 2009. Serenity schläft, es ist kurz nach zwei, natürlich schläft sie. Sie ist müde und erschöpft vom Tag. Ihre Eltern und sie sind auf dem Spielplatz gewesen. Langsam nähert sie sich ihrem leiblichen Vater immer mehr an. Dann jedoch: Ein lautes Rumpeln und das Mädchen wird wach. Sie ist sofort auf den Beinen und guckt durch den Spalt in ihrer Zimmertür nach draußen, in den Flur. Unten, im Wohnzimmer, sie kann die Treppe hinuntersehen, flackern hin und wieder Lichter auf. Taschenlampen? Der Fernseher? Die Geräusche sind weg und auch die Lichter verschwinden. Die Schlafzimmertür ihrer Eltern steht offen. Serenity bewegt sich langsam, vorsichtig. Sie ist nervös und ängstlich – will zu ihrer Mama und sie in den Arm nehmen. Doch ihre Mutter ist nicht in dem Schlafzimmer. Timothy auch nicht. Dann hört sie wieder Stimmen – Schreie um genau zu sein. Ihr Körper wird von einer unangenehmen Gänsehaut überzogen und sie rennt zurück zur Treppe und stolpert fast die letzten Stufen herunter, kann sich jedoch am Geländer abfangen. Die Stimmen werden lauter. Zwei Fremde Stimmen sind zu hören. Sie brüllen und schreien sich gegenseitig an. Nein, Moment! Sie streiten mit ihren Eltern. Ihre Mutter weint wieder. Sie haben Serenity anscheinend nicht bemerkt. Sie geht weiter den Stimmen nach und späht durch die Küchentür. Serenity weiß, was sie tun muss: die Polizei rufen! Melody hatte es ihr doch beigebracht. Sie weiß, wie es geht und greift nach dem Telefon, das neben ihr auf der Kommode steht. Sie wählt langsam die rettenden Zahlen, während sie die Szenerie weiter beobachtet. Ihre Eltern sind auf Stühlen gefesselte. Bewaffnete Männer streiten mit ihrem Vater. Er kennt sie. Serenity ist sich sicher. Sie müssen sich kennen – aus seiner Vergangenheit! Serenity hält sich das Telefon ans Ohr und führt ein flüsterndes Gespräch, wendet sich dabei von der Tür ab. Sie dürfen sie nicht hören, nicht bemerken. Serenity legt nach wenigen Sekunden auf, dann knallt es laut, gleich zwei Mal. Alles ist ruhig. Serenity traut sich nicht, nachzusehen. Sie rennt weg, die Treppe wieder nach oben. Ihr Zimmer ist sicher, denkt sie. Sie hockt sich in ihren Kleiderschrank und wartet ab. Sie hört Schritte, drückt sich die Hände auf die Ohren und kneift die Augen zu. Sie weiß nicht, wie lange sie dort sitzt, aber als sie sich langsam beruhigt hat, ist es still. Zumindest für wenige Minuten. Dann sind schnellere Schritte zu hören und Serenity wird sofort wieder panisch. Nun fängt sie an zu weinen, starrt gegen die Türen des Kleiderschranks und wartet ab. Als die Türen aufgehen, schreit sie wie am Spieß, als würde sie jemand geradewegs aufschneiden, quälend langsam. Serenity wird von einer blonden Frau auf den Arm genommen. Sie trägt eine blaue Weste und an dieser ist eine Marke befestigt. Die Rettung.
September 2010, Amerika. – til now.
Nach dem Tod ihrer Tante und ihrer zwei liebevollen Eltern waren in der Familie Cook keine weiteren, nahen Angehörigen bekannt. Serenity kam eine Zeit lang in ein grausames Waisenhaus und schottete sich von der Menschheit ab. Ihre Zeit verbrachte sie mit dem malen und schreiben, wobei sie sich dies meistens selbst beibrachte. Zur Schule ging sie zwar, aber meistens fühlte sie sich völlig unterfordert. Sie war zur Adoption freigegeben worden und tatsächlich wurde sie schnell in die Familie Boulder aufgenommen, dessen Nachnamen sie nun auch angenommen hatte. Serenity war nicht das einzige Kind. Es gab bereits vier weitere, jedoch sprach sie auch mit diesen nicht. Auch ihre Adoptiveltern blockte sie völlig ab. Sie war undankbar. Serenity baute keine wirkliche Bindung zu ihren Familienmitgliedern auf – ganz im Gegenteil. Sogar der Tod ihrer Adoptivmutter ging schweigend an ihr vorbei, als hätte sie ein Herz aus Eis, welches nicht Mal beim Anblick kleiner Hundewelpen schmolz. Serenity interessierte sich nicht für ihre neue Familie und auch das neue Mitglied Jane war bei ihr nicht der Rede wert. Sie schottete sich nach wie vor ab, besuchte regelmäßig einen Psychologen, um die gesehenen und erfahrenen Dinge zu verarbeiten. Serenity kann nicht unbedingt sagen, dass es ihr hilft – auch heute nicht. Eher verachtete sie ihren Psychologen. Serenity hatte keine Freunde in ihrer restlichen Schulzeit und dennoch war sie eine Musterschülerin. Sie wurde von Alpträumen geplagt und hatte eine liebe, nette Stimme im Kopf, mit der sie Gespräche führte. Für andere waren es kranke Selbstgespräche, die Serenity frei auf dem Schulflur oder zu Hause am Esstisch führte.
2014 dann der Schlag: der Ausbruch der Apokalypse. Ein Szenario, das allen Menschen so fern gewesen war und plötzlich ganz greifbar. Serenity, die zu dem Zeitpunkt erst 13 gewesen war, verschanzte sich mit ihrer Familie und jahrelang sah sie nichts von der Außenwelt. Ihre Adoptiveltern behüteten sie wie Wachhunde und es war für sie verblüffend zu sehen, dass sie trotz aller Ablehnung von Serenity, sie offensichtlich immer noch liebten. Erst mit 16 Jahren sah sie die Außenwelt wieder, als das Wohngebiet, indem sie sich verschanzt hatten, überrannt worden war. Sie flüchteten weiter, wobei sie mit dem Auto nicht mehr sonderlich weit kamen – kein Benzin mehr und sie hatten keinen neuen Kanister bei sich, da die Aktion Hals über Kopf stattgefunden hatte. Sie wechselten die Unterschlüpfe immer wieder, so oft es ging und so oft sie eben mussten, doch die Anzahl der Untoten nahm kein Ende und nichts schien mehr sicher für die Familie. Vor drei Jahren starben ihre Adoptiveltern bei dem Versuch, ihre Kinder zu beschützen. Serenity entwickelte sich nach dem Vorfall zu einer Person, die Kontrolle über alles brauchte. Sie hatte sich das Ziel gesetzt, niemanden in ihrer Umgebung mehr sterben zu lassen, der ihr nah stand. Serenity war mit ihrer Adoptivschwester zu Fuß unterwegs und da ihre Schwester nach dem Tod ihrer leiblichen Eltern nicht mehr in der Lage gewesen war, irgendetwas zu tun, brachte Serenity die beiden immer wieder in Sicherheit, auf eigene Faust und mit dem Willen einer Kämpferin. Sie wusste jedoch, dass sie allein nicht mehr länger überleben konnten. Ihre Vorräte waren sehr begrenzt und auch wenn Serenity mittlerweile sehr gut mit dem Küchenmesser ihrer Mutter umgehen konnte, war es keine Dauerlösung. Zufällig fand Serenity für die beiden Schwestern ein funktionstüchtiges Bike – zwar kaum mit Benzin gefüllt und eher in schlechtem als rechtem Zustand, aber es fuhr. Offensichtlich war jemand mit dem Ding verunglückt, denn in der Nähe hatten sie einen Untoten mit Biker-Kleidung entdeckt, dem Serenity den Gar ausmachte. Sie stahl einfach die Lederjacke und den Motorradhelm. Ihrer Schwester gab sie den Helm, sie selbst behielt die Jacke und mit dem restlichen Benzin fuhren sie, einfach in irgendeine Richtung. Es ist noch nicht allzu lange her, da ist Serenity zu den Riders gestoßen: die Außenposten-Kolonie des Cottages, wie sie dann erfuhr. Es war purer Zufall gewesen, dass sie auf die Werkstatt gestoßen war, halb verhungert und alles andere als in der Lage zu kämpfen. Heute hat sie noch immer mit gewissem Misstrauen zu kämpfen, vor allem, da ihre fragwürdige Kaltblütigkeit bei manchen Bedenken aufwirft. Eine Sache, die mittlerweile einfach von ihr akzeptiert wird, da sie genau weiß, dass sie alles nur zum Schutz ihrer Familie tut.