VOR DEM AUSBRUCH:Lucianas Leben begann eigentlich ganz unspektakulär in der Millionenstadt, die niemals schläft. Am 02.12.2002 erblickte sie in einer New Yorker Privatklinik das Licht des Lebens, als erstes und einziges Kind von Anabel und Godric. Auch wenn sich ihre Eltern eigentlich einen Jungen gewünscht hatten, der später in die Fußstapfen des Vaters treten würde, waren sie beide dennoch wahnsinnig stolz auf das kleine Wesen, welches sie fortan mit ihren großen blauen Augen ansah und welchem sie fürsorglich den Spitznamen Lu gaben.
Joa… das war es auch fast schon. Was sollte man großartig über die Kindheit des jungen Mädchens sagen? Sie wuchs behütet bei ihren Eltern auf; wie bei ihrer Oma, die sie liebevoll Nana nannte. Ach ja und die zahlreichen Nannys natürlich, die sich die Mikaelsons geleistet hatten. Die durfte man natürlich auch nicht vergessen! Immerhin war sowohl für ihren Vater als auch für ihre Mutter die Arbeit immer noch ein wichtiges Gut. Eben Business und so…
Mehr "richtige" Verwandtschaft hatte Luciana auf jeden Fall nicht kennengelernt. Ziemlich früh – sie war noch nicht mal auf der Welt gewesen - hatte sich aber heraus gestellt, dass es da noch wen gab. Strenggenommen nicht nur einen sogar. Ihr Vater hatte vor der Ehe mit ihrer Mutter bereits eine kurze Beziehung gehabt, aus der ein Kind resultierte. Von jetzt auf gleich war die Blondhaarige also doch kein Einzelkind mehr und hatte einen liebenden Halbbruder an ihrer Seite. Tja, so schnell konnte es gehen. Ihre Mutter und er hatten sich noch vor der Geburt kennengelernt, so dass er von Anfang an in ihrem Leben sein konnte. Und genau dieser nahm sie später auch mit zu seiner Familie und auch wenn zwischen ihnen keine Blutverwandtschaft bestand, fühlte sich Klein-Lu immer wohl bei ihnen. Etwas, was ihre Mutter sehr gefiel… immerhin wollte diese doch nur das Beste für ihre kleine Tochter. So war es für sie schnell klar gewesen, dass sie – sehr zum Missfallen ihres Mannes – Yoshiro und seine Familie immer mal wieder besuchte.
Genau diese Zeit, die ihr die Familie ihres Halbbruders gab, genoss die junge Mikaelson immer wieder. Schließlich waren ihre Eltern immer noch Unternehmer, hatten dementsprechend auch viel Vermögen, waren immer gut mit der Firma beschäftigt, an der Börse und so weiter… So ganz hatte sich Lu nie damit beschäftigt, da sie schlichtweg kein Interesse daran hegte… und sowieso noch zu jung für alles war. Aber es hatte eben zur Folge gehabt, dass auch gerade ihre Mutter dementsprechend wenig Zeit für ihre Tochter gehabt hatte. Und Luciana war nie ein besonders großer Fan davon gewesen, ihren Nannys auf Schritt und Tritt zu folgen. In der Hinsicht steckte wohl schon immer eine Kämpferin in ihr…
Was man nicht vergessen durfte zu sagen? Sie war seit ihrer Kindheit chronisch krank (nicht gerade ein favorisierter Ausdruck von ihr). Seitdem sie klein war, litt sie an einer Form der Epilepsie. Fokale Temporallapenepilepsie schimpft es sich, um jetzt einmal im Leben schlau zu wirken.
Das beeinträchtigt sie aber nicht so sehr, wie die meisten glauben mögen. In den allerallermeisten Fällen beschränkt dieses sich auf einen kurzen motorischen Anfall und kommt auch eher seltener vor. Höchstens ein paar Mal im Monat, es gibt aber auch Zeiten, wo diese noch seltener sind. Eine Umgebung, wo sie sich wohl fühlte, trug natürlich immer positiv dazu bei, dass diese Anfälle noch seltener auftraten. Was Luciana aber sehr wichtig war? Sie wollte auf keinem Fall genau deswegen irgendwie bemitleidet werden oder ähnliches. Am Ende war sie immerhin auch noch ein ganz normaler Mensch wie jeder anderer… wobei normal in einer Apokalypse auch ein sehr dehnbarer Begriff war…
Zudem war diese Epilepsie die Jahre über auch etwas ganz… normales für die geworden – immerhin kannte sie es praktisch nicht anders. Damals erfolgten natürlich die ganzen obligatorischen Krankenhaus-, Neurologie-, MRT-Shits und was auch immer. Und genau das hinterließ bei dem kleinen blondhaarigen Mädchen damals so einen prägenden Eindruck, so dass sie eigentlich schon behaupten konnte, dass sie in ihrem Alter schon mehr Krankenhäuser von innen gesehen habe als so manche in ihrem ganzen Leben. Naja, dazu später noch mehr.
Joa, ansonsten waren die ersten Lebensjahre tatsächlich sehr unspektakulär. Lu ging in den Kindergarten, fand viele Freunde, hatte Spaß am Leben. Eben der ganz normale Wahnsinn. Sie hatte ein echt tolles, vornehmes Familienhaus, ihr fehlte es an nichts und sie bekam so gut wie alles, was sie wollte. Lag eventuell ein klein bisschen daran, dass sie Einzelkind war und keine Vollgeschwister hatte – fiel ihr so im Nachhinein mal auf – und das gute Geld spielte da wohl auch eine Rolle. Zumindest passierte das alles so, wenn sie den Familienalben und den Erzählungen einfach einmal Glauben schenken mochte.
Seitdem die Mikaelson und die Nakamuras voneinander wussten, wurden regelmäßige Familientreffen abgehalten. Ok, mehr bei ihnen als bei der eigenen Familie und sehr zum Leidwesen ihres Vaters, welcher auch nie anwesend gewesen war. Aber über diese Treffen konnte die junge Mikaelson sagen, dass sie sich bei der Familie ihres Halbbruders wohl fühlte. Zumindest meistens, wie es als kleines Kind eben so war. Auf jeden Fall war es eine deutlich willkommenere Abwechslung als die ganze Zeit von irgendwelchen Nannys gestalkt zu werden. Lu mochte ihre neue, große Familie, die sie durch ihren Bruder bekommen hatte. Auch wenn alle eigentlich deutlich älter als sie waren und sie dementsprechend der kleine süße im Mittelpunkt stehende Engel war, war sie schlichtweg gerne bei ihnen - bei jedem einzelnen. Aber einer hatte damals doch irgendwie ihr kleines unschuldiges Kinderherz ein Stückchen mehr gestohlen: natürlich war es Yoshiro gewesen. Wenn sie den Erzählungen Glauben schenken mag, hat es auch so einige Situationen gegeben haben, wo nur er sie hatte beruhigen können. Es war wie ein tiefes Band, was die beiden von Anfang an miteinander verbunden hatte.
2007 - DAS JAHR, WAS ALLES VERÄNDERTE:Lucianas Leben veränderte sich schließlich 2007 – okay, was heißt schließlich – sagen wir´s besser zum ersten Mal. Ihre Eltern und sie wurden in einen schrecklichen Autounfall verwickelt. Sie starben und ihre Tochter wurde schwer verletzt. Danach hatte sie eine lange Zeit in irgendwelchen medizinischen Einrichtungen verbracht. Wie lange genau? Keine Ahnung – aber ihre Nana ist ihr keine Sekunde von der Seite gewichen. So wuchs ihre Krankengeschichte und es blieb nicht nur bei der Epilepsie. Sie hatte einen Milzriss, brach sich den linken Oberschenkel, welcher wie die Milzverletzung operativ versorgt wurde, hatte ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma und so einige Prellungen und Schürfwunden. Da das aber noch nicht genug war und die junge Mikaelson anscheinend überall „Hier“ schreien musste, bekam sie noch eine TIA, eine transitorische ischämische Attacke – quasi eine kurzzeitige Minderdurchblutung des Gehirns, oft auch „Mini-Schlaganfall“ genannt. Laut den Ärzten wurde das damals durch eine Fettembolie ausgelöst, die wiederum durch den gebrochenen Oberschenkel entstanden ist. Vielleicht sollte sie im nächsten Leben einfach Lotto spielen…
So wurde die Blondhaarige von jetzt auf gleich zu einer Vollwaise und verstand die neue Situation einfach nicht. Sie war auch noch viel zu jung dafür. Zu ihrem größten Glück hatte sie noch ihre bezaubernde Grandma an der Seite. Von da an wuchs sie bei ihr auf. Sie begleitete ihre Enkelin ebenso in der Reha, stand immer an ihrer Seite und wurde zur größten Bezugsperson für die junge Mikaelson. Dank ihr lernte sie mit allem umzugeben, inklusive der Krankheit, die sie auch heute noch insgeheim ganz liebevoll Hildegard nenne.
Aber da war nicht nur Nana, auch die Nakamuras und selbstverständlich Ro waren für sie da. Sie sorgten dafür, dass Lu nie allein im Krankenhaus und in der Reha war. Es war immer irgendeiner von ihnen da und sie halfen dem Mädchen mit allem umzugehen. Irgendwie… Annährend… Es war die Zeit, wo sie sich sehr zurück zog. Einfach die Zeit, wo sie deutlich stiller wurde, und nichts mehr von dem sonst so fröhlichen und manchmal auch frechen Kind zu sehen war.
Trotz allem hatte sie immer noch Glück im Unglück, wenn man es denn so nennen konnte. Sie erholte sich ziemlich schnell und wurde fast wieder die alte - zumindest physisch. Durch dieses TIA-Ding entwickelte sie eine Schwäche im linken Arm, die sich nie wieder ganz zurück gebildet hat. Eine Kraftminderung, Missempfindungen und das Problem Wärme und Kälte gescheit einordnen zu können, blieben leider. Aber auch damit lernte sie umzugehen. Das Leben musste eben weitergehen und die junge Mikaelson kämpfte sich wortwörtlich zurück in ihr eigenes Leben.
Vom Unfall an sich weiß sie überhaupt nichts mehr, was nüchtern betrachtet eigentlich auch echt gut war. Sie wüsste nicht, ob sie sich an diese Geschehnisse überhaupt noch erinnern wollen würde.
2008 - UND WENN DU DENKST, ES WIRD NICHT SCHLIMMER, ZIEHT DAS LEBEN SEINEN NÄCHSTEN TRUMPF AUS DEM ÄRMEL:Kaum hatte Luciana die Geschehnisse rund um den Verlust ihrer Eltern richtig realisiert, kam noch in der Reha die nächste Hiobsbotschaft. Eigentlich hatte sie schon gedacht, dass es nicht mehr schlimmer kommen könnte, da lehrte ihr das Leben das Gegenteil. Es waren nur noch wenige Tage gewesen, bis sie wieder nach Hause sollte, da waren eines Nachmittags ihre Nana und Yoshiro zu ihr gekommen. Nur diesmal war es kein normaler Besuch gewesen… An diesem Tag musste die junge Blondhaarige erfahren, dass die Nakamuras bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen waren. Somit hatte die Mikaelson in kürzester Zeit gleich den Verlust ihrer beiden Familien hinnehmen müssen. So viele geliebte Menschen und sie würde niemanden jemals wiedersehen. Ihr waren nur noch ihre Nana und Ro geblieben. Es war etwas, was sehr an ihr genagt hatte…
Natürlich blieb das ihrem Umfeld nicht verborgen. Ihr Bruder wollte ihr helfen, hatte für sie, ihre Nana und ihm ein neues Haus gekauft. Es hatte ein Neuanfang werden sollen, frei von der Vergangenheit… für Ablenkung sorgen – etwas, was nur sehr mäßig funktioniert hatte.
Lu verstand die Welt absolut nicht mehr… und wollte auch nicht mehr. Sie fiel von einem Tief in das nächste und konnte schlichtweg nicht realisieren, dass sie alle nicht mehr da waren. Sie wollte nichts mehr hören und zog sich nur noch mehr zurück. Es war eine wirklich schwere Zeit – nicht nur für sie, sondern auch für ihre Grandma und ihr Bruder, die beide zudem wie ein Adler über das junge Mädchen wachten. Das ging so weit, dass sie sie auf Schritt und Tritt verfolgten. Sie sorgten dafür, dass Luciana nie alleine war – aus Angst, dass noch etwas passieren könnte. Man könnte meinen, dass sie nicht nur in Watte, sondern auch von oben bis unten in Luftpolsterfolie eingepackt wurde.
Von der sonst so lebenslustigen, rebellischen jungen Mikaelson war zu diesem Zeitpunkt nichts mehr zu sehen. Stattdessen war ihr eigenes Zimmerfenster die Aussicht, die sie die meiste Zeit über bekam… kein Treffen mit Freunden mehr, keine heimlichen Touren in der Stadt, kein Ausflug aufs Land mehr. Nein, ihr Leben war anders geworden… Es hatte sich komplett verändert und man konnte sagen, dass bereits in diesem jungen Alter ein großes Stück ihrer Kindheit gestorben war.
Irgendwann hatte sie zumindest einen Teil ihres alten Lebens wiedergefunden. Hin und wieder schlich sie sich für einige Ausflüge aus dem Haus – einfach, um den trostlosen, einengenden Wänden von zuhause zu entkommen. Zwar hatte ihr genau das die ein oder andere teils auch heftigere Standpauke eingebracht, aber damit konnte sie leben. Lieber das, als die ganze Zeit in ihrem Zimmer zu hocken und die Welt da draußen nur durch ihr Fenster zu sehen. So traf sie nach einer langen Zeit auch endlich wieder auf Duo und all die anderen bekannten Gesichter. Es war wenigstens etwas... Normalität in ihrem noch so jungen Leben.
Schlussendlich lebte die junge Mikaelson mit ihrer Nana und Yoshiro einige Monate zusammen in diesem neuen Haus, bis ihr Bruder eines Tages vor ihr gestanden und verkündet hatte, er müsste etwas länger weggehen. Weswegen und wohin? Sicher war sie sich nicht mehr. Sowieso hatte sie da nur halbherzig zugehört. Das blondhaarige kleine Mädchen wollte nach all den Geschehnissen nicht auch noch ihren Bruder gehen lassen, auch wenn es eigentlich nur ein kurzer Abschied werden sollte. Sie wusste noch, wie sie traurig an der Tür stand und Ro sagte, dass er bald wieder da sein würden. Doch dazu kam es nicht. Es war das letzte Mal, dass sie ihn gesehen habe... für eine verdammt wahnsinnige lange Zeit.
NACH DEM AUSBRUCH:Kaum hatte Lu sich so gerade in ihrem neuen, normalen Leben eingefunden, da meinte eine weltweite Apokalypse ausbrechen zu müssen. Es wäre auch zu schön gewesen, einfach einmal ein ganz normales, langweiliges Leben zu führen.
Wofür sie aber immer unglaublich dankbar war? Ihre Nana war immer da und half ihr im Leben mit allem klarzukommen. Sie war die einzige Person, die sie noch hatte. Zu allen anderen war früher oder später der Kontakt abgebrochen… Dank ihr lernte sie vieles – gewisser Grad der Selbstverteidigung natürlich inklusive – und auch wie sie mit Hildegard in diesen Zeiten am besten umgehen konnte. Von Ro hörte sie bedauerlicherweise nie wieder etwas und sie musste sich damit abfinden, ihn wahrscheinlich auch in Zukunft nie wieder zu sehen. Damit war die Familie noch einmal weiter geschrumpft. Jetzt war wirklich nur noch Nana da. Irgendwann berichtete sie ihrer Enkelin, dass Yoshiro vermutlich im Himmel wäre. Etwas, was sie nie so richtig wahrhaben wollte, aber etwas ändern konnte sie an dieser Situation auch nicht.
Zwar hatte die Blondhaarige zu Anfang noch einige Medikamente, aber die wurden im Verlauf immer seltener und die Wirkung immer weniger. Was konnte man schon von kleinen bunten Pillen erwarten, die ihr Haltbarkeitsdatum zum Teil schon mehr als einmal wieder gesehen hatten… Es war eine Herausforderung, nicht nur für sie, in diesen neuen, ungewohnten Zeiten mit einer Epilepsie klar zu kommen. Es dauerte lange, aber am Ende zahlte es sich aus. Tatsächlich pendelte es sich mit den Anfällen ein – zum Glück – und es gab sogar Zeiten, wo sie gar nicht auftauchten. Zudem lernte Luciana so langsam ihren Körper kennen und in ihn hineinzuhorchen. Etwas, was bezüglich Hildegard absolut vorteilhaft war.
Ihre Grandma und sie schlugen sich durch die Welt… was man eben so machte in so einer Zeit. Das Ziel? Natürlich zu überleben, was auch sonst. Zunächst war es immer ein ziemlich großes hin und her, aber dann fanden sie immer wieder Leute und auch Gruppen, wo sie sich teilweise auch eine längere Zeit niederließen. Meistens fand die junge Mikaelson diese Gruppen gar nicht so schlecht. So konnte sie einige Connections knüpfen und fand auch Freunde, mit denen sie viel unternahm und neugierig durch die Umgebung streifte. Selbstverständlich immer den Gefahren bewusst, aber das Mädchen war damals einfach nicht so eine gewesen, die sich einfach ins eigene Zelt einschloss und keinen Fuß mehr nach draußen setzte. Lange genug war es ihr verwehrt geblieben, die Welt um sich herum zu erkunden. Da musste man eben einiges nachholen.
Dazu zählte auch diese typische Pubertierende-Jugendliche-Phase – so wie es sich gehörte. Es war eine sehr intensive und gefühlsaufreibende Zeit, in der sie sich nicht nur einmal von ihrer Oma abwandte. Aber nach dem Ganzen, was die Blondhaarige bereits in ihrem Lebenslauf stehen hatte, war ihr das eigentlich nicht zu verübeln, oder? Genau aus dieser rebellischen Phase stammte auch die schicke Narbe am linken Arm. Tja, sowas passierte eben, wenn man zu nahe am Lagerfeuer spielte. Am Ende des Tages hatte sie schmerzlich aus dieser Erfahrung gelernt, auch wenn das durch ihre Gefühlsstörungen zunächst gar nicht richtig gemerkt hatte.
Trotz allem stand Nana immer an der Seite ihrer Enkelin und das rechnete diese ihr im Stillen hoch an. Sie war einfach alles für Luciana – Bezugsperson, Familie, wie eine Mutter und ja irgendwie auch ein Stück weit wie eine gute Freundin, so komisch es klang. Irgendwie war sie dann doch ein absoluter Familienmensch, auch wenn davon eigentlich nicht mehr viel übrig geblieben war. Mittlerweile waren schon so einige Jahre vergangen. Lu dachte viel nach, malte sich in Gedanken immer wieder sämtliche Szenarien aus. Was wäre passiert, wenn… Irgendwie fühlte sie sich oft einfach einsam und in gewisser Hinsicht auch leer. Nach außen zeigte sie aber stets das wunderbare Lächeln, so wie sie es von klein auf gelernt hatte. Es war die Zeit, wo sie anfing, eine große Mauer um sich aufzubauen.
Bedingt durch ihre Kindheit hatte sie ein großes Interesse für die Medizin entwickelt. Die ganzen Geschehnisse hatten sie nie abgeschreckt. Nein, das Gegenteil war der Fall gewesen. Insgeheim, ganz tief in ihr drinnen, träumte sie vielleicht das ein oder andere Mal davon als Arzt zu arbeiten, aber da machte ihr wohl die Krankheit und dieses Beißer-Ding einen großen Strich durch die Rechnung. So blieb es nur bei einem großen Wunschgedanken. Trotzdem unterstützte Grandma die Blondhaarige auch hier. Lu wusste nicht wie, aber immer wieder beschaffte ihre Nana ihr Bücher über verschiedenste medizinischen Themen. Das dadurch erlangtes Wissen konnte sie praktisch an der ein oder anderen Stelle umsetzen und auch so war die junge Mikaelson ziemlich oft im medizinischen Bereich der Gruppen, wo sie sich niedergelassen hatten, zu finden. Sie wollte etwas sehen, etwas tun und auch etwas helfen. Ja, es ging glatt so weit, dass sie fasziniert davon war, wenn sie Ärzte traf und diese ihr so einige Geschichten erzählen konnten…
Our loved ones will always be by our side, no matter where they are~Bis auf wenige Tage und Wochen, wo Luciana mit anderen unterwegs war, waren ihre Nana und sie immer zusammen. Seit dem Ausbruch, all die Jahre. Sie hatten das geschafft, was sich so viele gewünscht hatten – mit der liebsten Person Seite an Seite diese beschissenen Zeiten überstehen.
Doch dann kam der Tag, der aus ihren Albträumen. Dieser, wo sie gehofft hatte, dass er nie eintreten würde… Auch bis heute versucht sie ihn aus ihren Erinnerungen zu streichen. Nur bislang absolut erfolglos. Ob sich das noch ändern würde? Sie wusste es nicht.
Sie wurden überfallen, von einer Horde Beißer überrascht und auseinander gebracht. Die ganze Gruppe, sie war von jetzt auf gleich eingekreist gewesen. Irgendwie hatte ihre Grandma sich zunächst befreien können. So hundertprozentig alles hatte die junge Mikaelson nicht mitbekommen… oder ihr Gehirn hatte es bereits gelöscht. Ohne zu zögern hatte die ältere Dame die Aufmerksamkeit der Untoten von ihrer Enkelin auf sich gelenkt, ihr noch zugeschrien, dass sie verschwinden sollte. Etwas, was sie selbst eigentlich nicht einsehen hatten wollen. So hatte sie noch versucht über einen anderen Weg an ihre Nana ran zu kommen, ihr zu helfen… irgendwie. Doch es war zu spät gewesen. Lu sah sie stürzen, bestimmt fünf Meter. Sie schlug mit dem Kopf auf einen Felsen auf… Die letzte Erinnerung an sie. Die Blondhaarige schrie… und es waren nicht die einzigen Schreie gewesen. Es waren auch deren, mit denen sie die letzte Zeit zusammen verbracht hatten. Es war der letzte Tag gewesen, an denen sie sie alle gesehen hatte.
MAI 2022:Nun… seitdem war die junge Frau allein, völlig allein. Das erste Mal in ihrem fucking Leben. Da war einfach niemand mehr… Wie sie diese ersten Tage überlebt hatte? Sie konnte keine Antwort darauf geben. Sowohl Körper als auch Geist befand sich wie in Trance. Sie war absolut nicht mehr sie selbst und wandelte nur wie eine leere Hülle durch die Umgebung. Sie schlief so gut wie gar nicht, aß kaum, trank nur wenig – viel mehr bekam sie sowieso nicht in ihren Magen, ohne dass es direkt wieder hoch kam. Naja, so ganz allein war sie dann doch nicht. Hildegard tauchte wieder auf. Ausgerechnet jetzt.
Tatsächlich schaffte sie es, zurück nach New York zu kommen. Es waren Jahre gewesen, die sie nicht mehr in dieser großen Stadt gewesen war. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie schließlich das Ziel gefunden. Endlich. Sie wollte doch nur noch einmal ihrer Familie nahe sein. In dem Haus sein, wo Nana, Yoshiro und sie die letzten gemeinsamen Tage verbracht hatten. Auch wenn sie nicht lange dort verbracht hatte, es war auch eine Art Heimat für sie geworden. Eigentlich wollte sie dort nur ein wenig Ruhe finden. Trauern… irgendwie sowas. Es war das erste Mal in ihrem Leben, wo sie absolut überhaupt nicht mehr weiter wusste.
Lange blieb sie in diesem Haus aber nicht allein. Am Ende wurde sie von Geräuschen geweckt, nachdem sie zuvor vor Erschöpfung eingeschlafen war. Sie hatte es nicht glauben wollen, aber schlussendlich hatte ihr Bruder vor ihr gestanden. Yoshiro. Er lebte. Ein Stück von ihr hatte es immer gewusst. Trauer und Freunde prasselten gleichermaßen auf sie ein, als sie ihn wieder in die Arme nehmen konnte. Sie hatte echt mit allem gerechnet, nur nicht mit ihm. Da hatte das alte Haus sie tatsächlich wieder zusammen geführt und das gerade im absolut richtigen Moment. Lu wusste nicht, ob sie ohne ihren Bruder überhaupt noch hier wäre. Allerdings hatte auch er einen schrecklichen Schicksalsschlag erfahren müssen, wie sie später erfuhr.
Da Ro in einer Kolonie lebte, brachte er auch seine Schwester nach einigen Tagen, in denen sie sich ausgeruht hatte, dort hin. So lebte sie fortan im Heavens Paradise und war nicht mehr allein, wie sie es zuvor noch gefürchtet hatte. Ja, sie hatte ihrem Bruder viel zu verdanken. Verdammt viel.
Auch wenn sie sich zu Anfang doch ziemlich unwohl gefühlt hatte, hatte sie sich irgendwann eingelebt. Es war doch eine große Umstellung die junge Mikaelson gewesen. Gerade nach diesem Vorfall, aber am Ende war sie sehr dankbar darüber, dass sie bei ihnen bleiben durfte. Ihre psychische Gesundheit hatte doch mehr gelitten, als sie es eigentlich zugeben wollte, und auch Hildegard hatte ihren Teil dazu beigetragen. Naja, dementsprechend war die erste Zeit gewesen, aber schnell hatte sie so einige Menschen kennen gelernt, die diese Zeit erträglicher für sie gemacht habe. Es klang ultrakitschig, aber sie hatten der Blondhaarigen irgendwie schon geholfen, sich einzuleben in der neuen Heimat…
Tatsächlich schaffte Lu es bereits nach kurzer Zeit, der stillen Leidenschaft, der Medizin, nachzugehen. Zügig bekam sie die Erlaubnis, neben der Schule im medizinischen Bereich des Paradise zu arbeiten und konnte so noch einmal einiges dazu lernen, was sie bislang nur aus Büchern kannte. Und auch Yoshiro und sie rauften sich irgendwie zusammen - es war doch etwas... ungewohnt, nach all den Jahren auf einmal mit seinem todgeglaubten Bruder in einer großen Kolonie zu wohnen und nicht mehr in kleinen Nomadengruppen durch die Gegend zu ziehen. So bekam sie doch endlich mal die Chance auf ein einigermaßen normales Familienleben…