Es war der 02.06.1994 als Mara Campbell das erste Mal ein grelles Licht erblickte. Als insgesamt viertes Kind von Grady und Kaitlyn… und damit sollte das Familienglück eigentlich komplett sein. Alles sollte perfekt sein, Friede-Freude-Eierkuchen. Die Vorzeigefamilie in der Stadt, die, die den American Dream lebte… Ein Scheiß sollte das. Sowas war noch nie im Interesse der Jüngsten gewesen, aber erst einmal nach der Reihenfolge hier. Man möchte doch nichts im bezaubernden Leben der kleinen Campbell mit ihren unschuldigen grünen großen Augen verpassen.
So wuchs Mara behütet in ihrer großen, angeblich perfekten Umgebung auf – und das nach einem ach so tollen katholischen Vorbild. Sie war das kleine Küken, der Nachzügler in der Familie und konnte zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester zu ihren Geschwistern zählen. Dass sie aber nie einen richtigen Draht zu ihnen und auch zu ihren Eltern fand, ist eine etwas andere Geschichte. Ja, alles war gut in ihrem Leben, angeblich: jeden Sonntag ging es allesamt in die Kirche und vor jedem Abendessen wurde erst einmal gebetet und Gott für die wunderbaren Speisen gedankt. Etwas, was noch nie ihr Ding gewesen war. Für sie war das alles einfach nur… unrealistisch. Die Familie hatte sich alles hart selbst erarbeitet, warum wurde eine für sie imaginäre Person jetzt dafür angebetet? Naja. Lang genug hatte sie diese Themen über sich ergehen lassen oder es versucht, weil sie dachte, dass sie falsch anders war. Heute weiß Mara, dass nicht sie dieses Problem gewesen war.
Ihre Familie waren erfolgreiche Politiker und Unternehmer in dieser Gegend. Aber nicht immer war den Campbells alles in die Wiege gelegt worden – so wie Mara es gewöhnt war. Die Großeltern mütterlicher Seite stammten ursprünglich aus Irland und England, waren in den 30ern des zwanzigsten Jahrhunderts ausgewandert über den großen Teich und hatten sich im Land der Träume niedergelassen. Mit großen Hoffnungen, versteht sich. Trotz des vergangenen Weltkriegs und einem, der praktisch vor der Tür stand, machte ihr Großvater das Bestmögliche aus der Situation. In England war er als Handwerker unterwegs gewesen und hatte sich geschworen, immer alles für seine Familie zu tun. Sie sollte es immer gut haben, ihnen sollte es an nichts mangeln… Andere, nein viele scheiterten elendig, aber ihr Opa nicht. Er schaffte den Sprung und wurde der erste Politiker in der Familie. Seine Liebsten sollten nicht mehr so ein Leben wie in Europa haben und er sollte recht behalten. Aber nicht nur das, Arren Campbell hatte ein großes Herz, wie es viele nannten. Er war von ganz unten gekommen, vergaß seine Heimat nie und setzte sich für das „normale“ Volk ein, bewahrte ihre Rechte und schaffte sogar Perspektiven für diese Menschen. Etwas, was ihm und später auch der ganzen Familie ein hohes Ansehen bescherte.
So erging es auch der kleinen Mara: ihr mangelte es absolut an gar nichts. Sie hatte eine tolle Kindheit, war hübsch, war beliebt, war klug… rein theoretisch hätten ihr alle Türen offen gestanden. Aber sie war schon immer etwas anders gewesen… Warum konnte sie gar nicht genau sagen. Es war einfach so. Eine mögliche Begründung, warum sie so war?
Naja, es lag eventuell auch daran, dass sie zuhause immer die Kleine war. Die jüngste, die aus allem rausgehalten wurde, da sie einfach zu klein war. Die, die nicht viel Beachtung bekam. Immerhin hatte sie drei größere Geschwister, die schon drauf und dran waren, in die Familienfußstapfen zu treten. Die, die das alles noch nicht verstehen würde. Nach außen gab sich die Familie immer sehr offen, perfekt, nah für das „einfache Volk“, aber mit zunehmendem Alter war Mara echt einer anderen Meinung. Damit sie nicht rumnörgelte, wurde sie immer in ihr Zimmer gepackt. Ihr wurde Spielzeug, alles Mögliche gegeben. Etwas, damit sie Ruhe gab und ihre liebste Familie in der Öffentlichkeit nicht blamierte. Angeblich sei das immer das Beste für das kleine blond-rothaarige Mädchen gewesen. So gewöhnte sie sich daran, allein zu sein und merkte schnell, dass sie irgendwie falsch in der Familie war. Sie teilte nicht die Interessen von ihnen, fühlte sich oft außen vor und stritt sich häufig mit ihren deutlich älteren Geschwistern. Oft genug war die junge Campbell deswegen verzweifelt genug gewesen. Warum konnte sie nicht einfach ein normales Leben führen? Warum musste es so sein?
Sie hätte einfach die Klappe halten können und das vermeintliche perfekte Leben so hinnehmen, wie es war, aber das passte nicht zu ihr. Es wäre zu einfach gewesen, aber stattdessen ging es so weit, dass sich ihre Interessen zum kompletten Gegenteil von ihrer Familie wendete. Mara war einfach nicht die Person, die abends am perfekten Tisch saß und zu allem Ja und Amen sagte. Das war schon schlimm genug, dass ihre anderen Geschwister so dachten… so gehorchten.
Nur mit großer Missgunst betrachtete sie es jedes Mal, wie ihre Familie eigen ersparte, hart erarbeitete Ressourcen abgab, um in der Welt gut dar zu stehen. Es wollte nicht in den Kopf der jungen Dame gehen und sie konnte sich in diese Situationen nicht hineinversetzen. Für sie waren es keine armen Leute. Viel mehr waren es Schnorrer, faule Menschen. Ihre Familie hatte sich alles erarbeitet. Warum taten die anderen es nicht? Warum sollte sie ihre Sachen abgeben – und das an solche? Warum verschwendete ihre Familie alles, obwohl sie niemandem etwas schuldig war?
Die Zeit rannte, Mara wurde immer größer und auch immer rebellischer, entfernte sich dabei immer weiter von ihrer ganzen Familie. Einzig und allein ihr Opa konnte sie hin und wieder zur Vernunft bringen, aber als auch er irgendwann starb, gab es dort niemanden mehr.
Es passierte nicht selten, dass sie von zuhause verschwand, um bei ihren wahren Freunden zu sein. Zumindest dachte sie, dass es Freunde von ihr waren… Es war auch die ersten Male, dass sie mit der Polizei Bekanntschaft machte. Alkohol, Drogen – schon früh kam sie mit solchen Substanzen in Kontakt. Wie alt sie dabei war? Keine fünfzehn. Die Regeln zuhause? Ihr scheiß egal. Hausarrest hielt sie schon lange nicht mehr auf und so wuchs Mara immer weiter zum Problemkind heran, welches drohte die weiße Weste der Familie zu beschmutzen... nein eher schon mit Vergnügen ein großes Glas Rotwein darüber auskippte.
So passierte es auch, dass dem Vater irgendwann seiner Jüngsten gegenüber die Hand ausrutschte. Zunächst ein Handeln rein aus Affekt und ein Schwören, dass es nicht noch einmal passierte, aber daraus wurde schnell ein Handeln aus Zorn, als sich nichts bei ihr geändert hatte. Spätestens da war es Mara klar, dass diese perfekte heile Welt immer nur ein Schein gewesen war. Sie hatte recht gehabt. Eigentlich hätten diese Aktionen das junge Mädchen einschüchtern sollen, aber das Gegenteil war der Fall. Die Stimmung zuhause immer aufgeladener. Die Rothaarige war sich gar nicht sicher, ob der Rest der Familie von den mittlerweile relativ regelmäßigen Ausrutschern ihres Dads Bescheid wusste. Daraufhin wuchs auch ihr Zorn. Sie wollte einfach nur weg, Rache… alles… sie wollte ihnen, insbesondere dem heiligen Grady Schaden zufügen, aber die meiste Zeit über machte ihr die Polizei einen klitzekleinen Strich durch die Rechnung. Wem glaubte man mehr – dem verzogenen Gör oder dem ach so tollen großen Politiker? Natürlich letzterem, was auch sonst.
Wie es so kam, fand sie in diesen Kreisen auch ihren ersten Freund. Sie gab sich älter, als sie eigentlich war, sagte, sie sei sechzehn, während er neunzehn war. Was sie nicht wusste zu dem Zeitpunkt? Um sie herum wurde geplant. Ihre Eltern hatten vor, sie aus dem Land zu bringen. Zurück nach Irland, auf irgendeine Farm am Allerwertesten der Welt und zu irgendeiner Großtante. Hauptsache Mara sei weg aus der Öffentlichkeit und würde der Familie nicht mehr schaden. Aber das war noch nicht genug, denn ihre angebliche ach so tolle erste Liebe war nur dafür da, um sie auszuspionieren und so in ihr Haus zu kommen. Immerhin war sie ja noch das reiche, verwöhnte kleine Politiker-Töchterchen.
Bevor diese Pläne aber in die Tat umgesetzt werden konnten, war es ein positiver Schwangerschaftstest, der bei Mara im Zimmer gefunden wurde, als die eigene Mutter alles auf den Kopf gestellt hatte, um nach Drogen ihrer Tochter zu suchen. Es folgte das große Geschrei und die Campbell erwartete fast schon, dass ihr Vater wieder seine Hand erheben würde, aber diesmal passierte da nichts. Stattdessen konnte sie sich endlos lange Vorträge anhören. Sie sei vierzehn, unverheiratet und Abschaum… ok, so wortwörtlich zitiert war es nicht, aber genau so war es gemeint gewesen. Endlich hatte Mara es geschafft, mit etwas so hart auf die Werte zu spucken, die die Familie eigentlich pflegte… oder vorgab zu pflegen. Es war etwas, was die Familie richtig verzweifeln ließ, und so erfuhr die Jüngste auch das erste Mal von dem Vorhaben, sie weg zu schicken. Auch heute erinnert sie sich noch an dieses Gespräch – wie wutentbrannt sie in ihr Zimmer gestürmt war.
Fast exakt zwei Wochen danach – mittlerweile war es Herbst 2008 – sollte die Rothaarige ihre Koffer packen und den nächsten Flug nach Europa nehmen, da bewahrte ausgerechnet ihr eigener Freund sie vor dieser Reise. Genau er, samt seiner Gruppe, war es gewesen, der abends, als es bereits dunkel war, ihr Haus gestürmt hatte und zumindest ihr Ziel erreichen wollte. Bewaffnet durchkämmten sie alles, um eine möglichst große Beute zu erlangen. Sie wollten das an sich nehmen, was die Campbells über die Jahre hinweg hart erarbeitet hatte.
Natürlich, etwas anderes hätte man fast schon nicht erwartet, wollte ihr Vater der große Held spielen und seine Familie beschützen wollen. Trotzig stellte er sich mit seiner Waffe ihrem Freund gegenüber und drohte, ihn zu erschießen. Allerdings hatte er nicht mit seiner jüngsten Tochter gerechnet. Eigentlich hätte Mara entsetzt über diese Tat sein müssen, hätte Reißaus nehmen müssen. Es hätte ihr die Augen öffnen sollen, wie falsch ihre Freunde waren. Ja, tatsächlich öffnete es ihre Augen, aber nicht in dieser Hinsicht. Sie hatte nicht lange gezögert und hatte ihrem eigenen Vater ein auf dem Boden liegendes Messer ins Bein gerammt. Kurz daraufhin war ein Schuss ertönt, abgefeuert aus der Waffe ihres Freundes, welchen Grady Campbell in der Brust traf und beinahe tödlich verletzte. Ach wie schade.
Es war das letzte Mal für eine wahnsinnig lange Zeit gewesen, dass das junge Mädchen ihre Familie gesehen hatte. Die Koffer waren gepackt gewesen. Nur ging es für sie nicht nach Europa, sondern zu ihrer großen Liebe und seinen… ihren Freunden, wo sie mit ihrer Aktion Ansehen erlangt hatte. Irgendwie hatte die Rothaarige das ganze so… anziehend gefunden und langsam wurde ihr klar, dass es das war, was sie sich innerlich vielleicht schon lange gewünscht hatte. Und nicht diese langweiligen, prüden Glaubensregeln. Diese Einstellung, dieser Kick… es fühlte sich fast wie eine Bestimmung an, die endlich für sie greifbar war. Ihre Familie war ihr ab diesem Zeitpunkt vollkommen egal. Endlich war sie scheinbar da angelangt, wo sie hingehörte. War sie eigentlich ihrem Freund böse? Nein, eher enttäuscht, dass er ihr den Plan verheimlicht hatte.
Doch da gab es ja noch ein Thema, was sie irgendwann nicht mehr verheimlichen konnte. Genau kann sie gar nicht sagen, wie lange sie gewartet hat, ehe sie die Schwangerschaft ansprach. Es waren Wochen gewesen – draußen stand der Winter schon in den Startlöchern –, wo sie alle unterwegs waren und immer wieder andere Menschen überfallen hatten. Jedes Mal wuchs das Grinsen ein Stückchen mehr im Gesicht der Campbell und sie sah zu ihrem Freund auf. Gejagt von der Polizei hüpften sie von Staat zu Staat. Die Zeitungen, das Fernsehen, das Radio – alle berichteten über sie und nicht selten wurde ein junger Mann mit einem noch jüngeren Mädchen erwähnt. War es damals so gewesen? Hatten Bonnie und Clyde sich etwa auch so gefühlt?
Es waren auch Wochen, wo sie immer mehr Vertrauen zu ihm gefasst hatte und sich so ihm irgendwann öffnete. Mit so einer Reaktion, wie sie schlussendlich kam, hatte sie allerdings nicht gerechnet. Klar, ihr war das Kind im Grunde vollkommen egal. Sie merkte es nicht, außer, dass ihr morgens manchmal ziemlich flau war und sie häufiger müde war. Sie hatte in der Zeit auch weiter getrunken, ohne Rücksicht zu nehmen, denn immerhin war sie noch vierzehn und ganz schön naiv. Etwas, was ihr heute definitiv nicht mehr passieren könnte. Ob sie es da schon geschafft hatte, diesen eigentlich ungewollten Parasit zu erledigen? Keine Ahnung. Der heftige Schlag gegen ihren Bauch, die Schreie und das Stolpern, gefolgt von einem holprigen Fall rückwärts die Treppe hinunter, haben dem ganzen wohl den Rest gegeben. Zitternd, mit blauen Flecken übersät und diversen Prellungen und Verstauchungen, vielleicht auch der ein oder anderen gebrochenen Rippe, hatte sie am nächsten Tag da gehockt und war sich sicher gewesen, dass sich das Ding in ihr erledigt hatte.
Aber auch das war nicht genug für Mara, den Kontakt zu diesen Leuten abzubrechen. Nein, ihr Freund hatte ja Recht gehabt mit allem und sie war so töricht gewesen. Sie war so jung und hatte keine Ahnung. So blieb sie auch weiterhin an seiner Seite und zog nach dem kleinen Schrecken weiter mit ihm fort. Bis das neue Jahr anbrach und die Welt vollkommen auf den Kopf gestellt wurde.
BEGINN APOKALPYSE:
Von jetzt auf gleich war in der Welt alles anders. Alles wurde auf den Kopf gestellt und nichts war mehr wie zuvor. Wandelnde Sabberfressen hinkten durch die Gegend und überfielen alles, was sich bewegte. Regeln? Galten nur noch auf dem wertlosen Papier. Aber das war ja sowieso bekanntlich etwas, was die Gruppe rund um das junge Mädchen nicht störte. Eher im Gegenteil: sie konnten noch mehr wagen und mussten nicht mehr die Befürchtung haben, dass an der nächsten Ecke die Bullerei auf sie wartete. Zusammen überfielen sie immer wieder andere… Einzelpersonen… Gruppen, alle gerieten sie in ihr Visier. Dabei rückte der Punkt, zu überleben bei diesen Angriffen schnell in den Hintergrund. Vielmehr wurde aus dem notwendigen nur noch ein purer Spaß.
Natürlich erlangten sie auch so während einer Apokalypse groß an Aufsehen und es gab immer wieder Leute, die sich ihnen anschließen wollten, aber am Ende schafften es nur wenige in ihre Reihen. In der Zeit lernte Mara das Kämpfen. Angriff, Verteidigung, mit Waffen, ohne Waffen – das alles stand fortan auf ihrem Stundeplan und nicht mehr langweilen Mathestunden von damals. Es war die Beschäftigung, die sie in den nächsten Jahren wohl am meisten nachgehen würde.
So verging die Zeit und die Campbell wuchs immer weiter heran. Gerade einmal frische siebzehn Jahre war sie, als tatsächlich das erste Mal ein Überfall – für Mara betrachtet – so richtig schief ging. Es war das erste Mal, wo durch ihre Hand eine andere, noch lebende, Person starb. Aber es war nicht neu für sie, dass sie Tote sah oder mitbekam, wie Andere gerade getötet wurden. Trotzdem war es irgendwie etwas anderes… Es war eine Zeit voller Gefühlschaos in der Rothaarigen. Irgendwie ließ dieser Vorfall sie nicht zurückschrecken. Was war bloß falsch mit ihr? Selbstzweifel wuchsen und sie wusste nicht mehr hundertprozentig, was sie mit sich machen sollte. Eben eine Zeit, wo sie nicht weiter wusste. Immer wieder stritt sie sich auch mit ihrem Freund. Nach all den Jahren wollte sie endlich als ebenbürtig angesehen werden in der Gruppe… und eben nicht mehr als das kleine, unschuldige Mädchen von nebenan. Das, was nur das hübsche Anhängsel war. Es war die Rolle, die sie endgültig satt hatte. Etwas, was sie nicht mehr sein wollte. Irgendwie war doch nicht immer alles so einfach, wie sie es gedacht hatte.
Aber so, wie es gerade war, so konnte Mara nicht weiter machen. So verließ sie ihre Gruppe und wollte das erste Mal überhaupt nach dem Ausbruch, nach dem Überfall zu ihrer Familie zurückkehren. Was genau sie ausgerechnet da geritten hat, kann sie eigentlich gar nicht sagen.
Vor Ort fand sie allerdings nicht dieses Friede-Freude-Eierkuchen Leben vor, wie sie es sonst immer gewöhnt war. Man könnte jetzt beiläufig sagen: schön zu wissen, dass die Campbells auch während einer Apokalypse endlich mal Schwäche zeigten und eben nicht so perfekt waren, wie es immer nach außen geäußert hatten. Die Realität war, dass Mara über die bereits verwesenden Kadaver ihrer Eltern stieg und ihr einer Bruder mit einer entzückenden, sabbernden Fresse als Untoter vor ihr stand. Mitleid? Fehlanzeige. Wandelte es sie? Nop. Stattdessen rammte sie fast schon mit Vergnügen ihm ihre Waffe in den Schädel, kehrte um und fiel ihrem Freund wenig später wieder um den Hals. Zusammen mit den anderen zog sie erneut durchs Land. Sie überfielen, sie kämpften und sie töteten. Erinnerte sie sich noch einmal an ihre Familie… lebte noch einer von ihnen? Nein und konnte sie nicht beantworten; interessierte sie auch nicht. Aber es war schon eine Art Genugtuung gewesen, wie sie in das leblose Gesicht ihres so tollen Vaters gesehen hatte.
Mit der Zeit, die diese Scheiße andauerte, wurden sie immer skrupelloser. Es waren endgültig nicht mehr nur Überfälle, um selbst zu überleben. Sie nahmen sich nicht nur die Sachen, die sie brauchten. Es war mehr. Deutlich mehr. Es war der Kampf, der Mara gefiel. Sie war eben nicht mehr das kleine, hilflose Mädchen von damals. Das, was nicht beachtet wurde… nein, das war sie wirklich nicht mehr. Sie liebte es, zu kämpfen, Strategien zu planen. Das zu bekommen, was sie wollte. Mittlerweile wurde sie sogar als ebenbürtig angesehen, hatte ihren Platz in der Gruppe erkämpft. Scheinbar alles, was sie immer haben wollte. Konnte sie sich nun als glücklich betiteln?
2016:
Naja, wäre ja langweilig gewesen. Glücklich kann bekanntlich ja jeder. Zweiundzwanzig Jahre war Mara alt, als ihrer Gruppe diesmal die Opferrolle zugeschrieben wurde. Etwas, was keiner von ihnen gewohnt war. Eigentlich hatten allesamt gerade ihr neues Ziel ausspioniert und hatten sich auf den Weg gemacht, als sie selbst in einen Hinterhalt gerieten. Ein Tag, den die Rothaarige nie vergessen wird. Ob positiv… oder negativ – auch heute sind es noch gemischte Gefühle, aber die positiven überwiegen definitiv.
Ihre ganze Gruppe wurde von diesen Unbekannten, die in Überzahl waren, umgebracht. Auch ihr Freund; Mara sah, wie er seinen letzten Atemzug auf dieser Welt getan hatte. Mit einigen Verletzungen, aber nichts schwerwiegendem, konnte sie von diesem Ort fliehen. Indem sie einen von diesen Leuten umgebracht hatte. Wie genau weiß sie selbst nicht. Sie hatte den passenden Moment abgewartet. Das Chaos für sich genutzt - dachte sie.
Ziellos irrte sie durch die Gegend und merkte, dass sie in diesem Zustand so nicht weiterkam. Vor allem, wenn diese Fremden hinter ihr her sein sollten. Ihr Freund, ihre Bekannten… egal. Lieber wollte sie ihren eigenen Hintern retten. Außerdem waren ja bereits vermutlich alle tot, da konnte sie sowieso nichts mehr daran ändern. Nur wenig später wurde sie von einer kleinen Nomadengruppe aufgesammelt. Fast schon optimal, dachte sich die Campbell. Dieses Massaker hatte sich schnell herumgesprochen, aber Mara baute ihre Fassade auf; tat auf eine unschuldige junge und hilflose Frau, die gezwungen wurde… die eigentlich gar nicht in so etwas involviert sein wollte. Wäre man nicht in einer endlosen weltweiten Apokalypse, hätte die Rothaarige vermutlich wirklich mal professionellen Schauspielunterricht genommen. Ihr wurde es abgekauft und ihre Wunden versorgt. So schnell ging es und sie hatte von jetzt auf gleich ihr Leben komplett umgekrempelt. Aber auch das sollte nicht lange andauern…
Nach einer nur kleinen Pause traf sie morgens auf ein bekanntes Gesicht. Eins, was sie zum ersten Mal bei diesem Überfall erblickt hatte. Es war das, was den tödlichen Schuss auf ihren Freund… oder eher gesagt jetzt Ex-Freund abgefeuert hatte. Schade und dabei hatte die Campbell gerade sich daran gewöhnt, einmal in Ruhe durchatmen zu können, wenn sie in der Früh im Wald stand und den Sonnenaufgang beobachtete. Nein, das war wirklich nicht ihr Leben.
Mara hatte keine Chance mehr zu handeln gehabt und konnte sich nur noch an einen harten Schlag erinnern. Dann war die Dunkelheit aufgekommen und sie erst in einer schäbigen Zelle aufgewacht. Ihre alten Wunden waren noch nicht einmal richtig verheilt, da kamen schon neue dazu. Was zum… Wie sie feststellen musste, war sie in eine Art… Sekte gelangt? So richtig konnte sie es gar nicht beschreiben. Außer, dass sie sich doch irgendwie das langweilige Waldleben zurückwünschte. Was sie da noch nicht wusste? Mit wem sie es hier zu tun hatte – den Wickeds, eine Organisation, die den sieben Todsünden nachging. Und sie war ausgerechnet an dem Ort gelandet, wo die Sklaven gehalten wurden.
Sie und Sklavin? Nie im Leben. Jahrelang war die Rothaarige in dieser Rolle des kleinen hilflosen Mädchens gefangen gewesen und sie hatte sich geschworen, dass sie nie wieder dahin zurückkehrte. Daran hinderte sie auch nicht irgendeine komische Sekte mit einem religiösen Touch. Schon schnell hatte sie gemerkt, dass hier etwas faul daran war. Von Anfang an wehrte sie sich gegen die Sachen, die ihr aufgetragen wurden. Der Streit mit ihrem Mitbewohner war da nur das I-Tüpfelchen. Er war ihr schlichtweg auf die Nerven gegangen… und dafür hatte sie mit Vergnügen ihm das Leben ausgehaucht.
Allerdings ging der folgende Fluchtversuch schief und sie lief direkt dem Anführer des Haus Zorns, Wrath, in die Arme. Womit sie absolut nicht gerechnet hatte? Sowohl er als auch der geheime Anführer, Luzifer, hatten im Hintergrund schon ein Auge auf die junge Frau geworfen. Wrath war es am Ende gewesen, der es schaffte, dass Mara ihm zuhörte… oder er zwang sie dazu, wie man es nahm. Sie hatte die einmalige Chance zu Ehren, eine Aufnahmeprüfung zu machen. Die Leute im Hintergrund waren anscheinend doch beeindruckt gewesen… irgendwie. Vielleicht hatte es auch etwas an ihrem weiblichen Geschlecht gelegen – wer weiß….
Auf jeden Fall wurde sie so selbst ein Mitglied im Haus Zorn und war ihren Sklavenstatus wieder los. Zum Glück für alle Beteiligten. Aber da war ja noch der Fall mit ihrem toten Zimmergenossen. Daraus resultiert jetzt die Narbe an ihrem rechten Schulterblatt. Noch am ersten Tag in ihrer neuen Heimat wurde ihr mit einem Messer der Name „Wrath“ in die Haut geritzt. Von jetzt an war sie Eigentum und sollte sich keinen Fehltritt mehr erlauben, denn schließlich hatte sie als Sklavin gegen die Regeln verstoßen.
Naja… tatsächlich gewöhnte sie sich an ihr neues Heim und fand zu einigen der Wickeds einen guten Draht… einen sehr guten genau genommen. Eigentlich war es hier gar nicht so schlecht, wie Mara es zunächst gedacht hatte. Endlich konnte die Rothaarige ihre Leidenschaften vollkommen ausleben und wurde nicht daran gehindert.
So hatte sie ihren neue Gruppe gefunden, das kurze und dennoch langweilige Leben wieder abgelegt und eine neue Bestimmung vor den Augen. Bis sie 2020 mit sechsundzwanzig Jahren mit einer kleinen Gruppe, inklusive Wrath unterwegs waren. Alle gerieten in einen Kampf und ihr Anführer starb schlussendlich. Sie war es selbst gewesen, die verhinderte, dass er als Beißer wiederkehrte, und auch diejenige, die zuhause seinen Tod allen überbracht hatte. Es folgte das Procedere, was immer ablief, wenn einer der Fürsten ausgeschieden war. Die Rothaarige stellte sich mit zur Wahl auf – etwas, wo sie all die Jahre für trainiert hatte – und tatsächlich kam sie mit in die Endrunde, gewann den Kampf. Somit hatte Haus Zorn das erste Mal in elf Jahren Existenz eine Fürstin, die fortan regierte. So schnell wurde aus dem kleinen, bedeutungslosen Mädchen eine Frau, die eine Gruppe leitete, Fürstin war und endlich dem nachgehen konnte, was ihre Leidenschaft war… zu sündigen.
Allerdings war es auch ein Posten, der nicht nur positive Seiten mit sich brachte. Nur ein Jahr später folgte die nächste große Probe. Sie alle wurden in einen langen Kampf verwickelt, den sie am Ende zwar gewannen, aber große Verluste hinnehmen mussten. Die Wickeds zogen fort, nach Washington DC, um sich zu sammeln und neu aufzubauen. Natürlich immer noch mit Mara als Fürstin des Haus Zorns. So schnell wird sie sich diesen Job doch nicht mehr nehmen lassen. Sie würde sich jede Herausforderung stellen, die ihr gegeben wird. Sie wird es jedem zeigen… eigentlich schade, dass ihre ganze Familie schon tot war. Von wegen, aus dem kleinen Nesthäkchen wird nichts gescheites werden...